Als Marco Polo Ende des 13. Jahrhunderts an der indischen Küste Halt machte, war es Liebe auf den ersten Blick. Seinem Buch der Wunder zufolge soll der Subkontinent die ganze Schönheit der Welt in sich vereinen. Wie wäre es, wenn wir in dieser Saison auch zu Entdeckern werden und Indien und seine unzähligen Schätze durch die Musik explorieren?
Das Abenteuer beginnt mit einem live von Nishat Khan begleiteten Stummfilm aus dem Jahr 1929, der uns weit vor das goldene Zeitalter Bollywoods führt, vor dem das indische Kino zwar noch nicht sang, aber schon viel zu sagen hatte! Indem Franz Osten eine Episode aus dem Mahābhārata, einem jahrtausendealten Epos, das Homer in nichts nachsteht, auf die große Leinwand bringt, zeigt er, dass Indien schon immer ein Land der Geschichtenerzähler und Legenden war.
Apropos Legenden: Im Grand Auditorium findet eine Hommage an Zakir Hussain statt. Ein Jahr nach seinem Tod ist der Mann, der die Tabla – und im weiteren Sinne die klassische indische Musik – ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit rückte, lebendiger denn je. Einige Monate später wird ein anderer Tabla-Spieler seine Marke setzen. Der erst 25-jährige Ishaan Gosh führt seit 2018 Araj an, eine «Boygroup» der besonderen Art. Tabla, Gesang, Zither, Flöte, Gesang… Fünf junge Männer, fünf «Superkräfte», ein einziges Motto: zu zeigen, dass «Musik nicht darin besteht, Kästchen anzukreuzen, sondern diese zu überwinden».
Am 15.01. bricht das Luxembourg Philharmonic ebenfalls mit den Codes und taucht mit Rite of Holi des Pianisten und Komponisten Vijay Iyer in das Herz der hinduistischen Volksfrömmigkeit ein. Auf dem Programm stehen keine Pigmentwürfe, sondern eine explosive Mischung aus symphonischen und elektronischen Farben.
Auf die überschwängliche Kühnheit des Jahresbeginns folgt ein besinnlicherer und zu 100 % weiblicher Frühling. Die Sängerin Varijashree Venugopal, die gestern noch ein Wunderkind war, wird am 05.03. ihre künstlerische Reife in einem Projekt an der Schnittstelle zwischen Jazz und Kirchenmusik unter Beweis stellen, in dem sie Erinnerungen, Votivgedichte und impressionistische Fantasien miteinander verbindet. Einige Tage später wird uns Naïssam Jalal in den äußersten Westen des indischen Subkontinents mitnehmen und zum Träumen bringen. Letzter Zwischenstopp mit Anoushka Shankar am 17.05. in einem kontemplativeren New-Age-Stil. Könnte es eine schönere Reiseeinladung geben?
Eva Klein