Zwischen Extremen
Festival rainy days mit Grenzgängen der Musik von heute
Ein musikalisches Werk, das sich beinahe über den ganzen Tag erstreckt… Kompositionen, die gerade einmal einige Minuten in Anspruch nehmen… Maximale Besetzungen oder (scheinbar) minimaler Aufwand… Extrem laut oder extrem leise… Die Musikgeschichte des letzten reichlichen Jahrhunderts lässt sich auch als Geschichte von Extremen und deren Wahrnehmung lesen. Und «Extremes» ist das Motto der diesjährigen rainy days. Das heißt aber nicht, dass Luxemburgs Festival für zeitgenössische Musik einfach eine Nabelschau betreiben würde. Denn in einer Welt, in der die viel apostrophierte Reiz- und Informationsüberflutung vielerorts den Alltag bestimmt, sind es nicht selten Extreme und Extremismus, die in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, im Zwischenmenschlichen schlicht in vielen Lebensbereichen – die Wahrnehmung bestimmen. Als extrem kann vieles gelten und betrachtet werden – und Kunst war von jeher Spielwiese und Reagenzglas für Zuspitzungen aller Art, der Ort um Grenzen auszureizen.
In der zweiten durch die luxemburgische Komponistin Catherine Kontz kuratierten Festival-Ausgabe treffen nun die unterschiedlichsten Extreme aufeinander und gehen neue Beziehungen ein. Klassiker der
Moderne wie John Cage, Morton Feldman oder gar Erik Satie stehen neben brandneuen Werken. Wie extrem erleben wir heute, was vor Jahrzehnten für Skandale sorgte? Das vollbesetzte Luxembourg Philharmonic mit Solisten auf der einen Seite, und der unsichtbare Interpret in einem neuen Klavierkonzert ohne Pianist von Liam Dougherty auf der anderen markieren ebenso Extreme wie 17 elektrische Gitarren oder eine einzelne Harfe.
Und auch das Alters- und Karrierespektrum der Beteiligten hält Extreme bereit, wenn wie selbstverständlich Namen wie jene der Altmeister des Arditti Quartets neben den Teilnehmenden am Kompositionsworkshop für Kinder stehen.
Ganz klar: Extrem ist die Vielfalt der Ästhetiken und Stile, der Konzepte und Ansätze, der Formate und Möglichkeiten, die sich ebenso an bereits Neue-Musik-Begeisterte richten, wie an schlicht Neugierige, an Menschen, die keine Festivalminute versäumen wollen und an diejenigen, die gezielt für ein einziges Konzert kommen. Was als extrem empfunden wird, ist subjektiv – hier kann sich jeder ausprobieren!
Tatjana Mehner